Harry Kessler wurde in Paris als Sohn eines deutschen Bankiers und dessen irischen Frau geboren. In seinen ersten Lebensjahren wuchs er in seiner Geburtssatdt auf und lernte dort in einer französischen Schule. Anschließend ging er auf eine Schule in England und machte schließlich das Abitur in Deutschland. Somit erhielt er eine breite Bildung und beherrschte bereits seit seiner Kindheit einige Sprachen. Nach der Schulzeit studierte Kessler Jura und absolvierte bald darauf seinen Militärdienst. Als Sohn einer Adelsfamilie diente er als Offizier in einem angesehenen Regiment und traf später auf keine Hindernisse bei seiner Karriere im gehobenen Verwaltungsdienst. Die persönliche Bekanntschaft der Familile Kessler mit der des Kaisers und mit Reichskanzler Otto von Bismarck dürfte dem durchaus förderlich gewesen sein. Jedoch begnügte sich der junge Jurist nicht mit einer Laufbahn in der öffentlichen Verwaltung, sondern entwickelte ein starkes Interesse an Kultur und Kunst. | |
Porträt von Harry Graf Kessler, fotografiert 1917 von Rudolf Dührkoop |
In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts erschien in Deutschland eine Kunstzeitschrift mit dem Namen PAN. Unter den Redakteuren waren bekannte und einflussreiche Künstler, doch auch Graf Kessler wirkte unter ihnen. Die Zeitschrift bestach durch ihregeschmackvolle Gestaltung, die hohe Druckqualität und die modernen Inhalte. Bis heute gilt PAN als Wegbereiter für den Jugenstil. Die intime Begegnung mit der Kunstwelt und sein verfeinertes ästhetisches Empfinden brachten Kessler zur Errichtung einer künstlerischen Privatdruckerei in Weimar, der "Cranach-Presse". Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde Kessler zum Direktor des Weimarer Museums für Kunst und Kunsthandwerk ernannt. Zur gleichen Zeit pflegte er auch enge Bekanntschaften mit einigen herausragenden deutschsprachigen Poeten, so mit Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal. Zusammen mit Hofmannsthal erarbeitete Kessler das Libretto für die bekannte Oper "Der Rosenkavalier" von Richard Strauss.
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Das Libretto der Oper "Der Rosenkavalier" von Richard Strauss, 1911. Auf dem Einband erscheint nur der Name Hofmannsthals, doch im Buch selbst dankte dieser Graf Kessler für dessen Mitarbeit.
In der Anfangszeit der Weimarer Republik wirkte Harry Graf Kessler als Politiker und Diplomat, verschrieb sich der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund (die Vorgängerorganisation der UNO) und war auch Mitlgied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Sowohl als Mitglied dieser Partei wie auch als Diplomat stand Kessler in Verbindung zu Rathenau. Beiden gemeinsam war die starke Neigung zu Kultur und Kunst. Dennoch lässt sich aus den Einträgen in Kesslers detailreichem Tagebuch ablesen, dass sich beide zwar gegenseitig respektierten doch darüber hinaus nicht übermäßig schätzten. Trotzdem wurde Kessler vom Mord an Rathenau stark erschüttert, wie auch sein Optimismus in Bezug auf eine echte Demokratie in Deutschland. Einige Jahre später, nachdem Kessler erfolglos für ein Reichstagsmandat kandidiert hatte, wandte er sich von der Politik ab und widmete seine Zeit hauptsächlich der Kunst in seiner Druckerei und dem Schreiben, unter anderem jener Biografie über Rathenau.
Während der Recherchen sprach Kessler mit Bekannten des Ermordeten und dessen Familie, korrespondierte aber auch mit einer Reihe von Personen, die mit dem jüdischen Politiker in Kontakt gestanden hatten. Einer dieser Korrespondenzpartner war der Philosoph Martin Buber. In Bubers Nachlass in der Nationalbibliothek findet sich eine Akte mit handschriftlichen und maschinenschriftlichen Briefen Kesslers an Buber. Kessler fragte Buber nach dem möglichen Interesse Rathenaus an der Ideenwelt des Chassidismus. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre hatte sich Buber bereits einen Namen als Experte für die mystisch-chassidische Kultur gemacht, weshalb sich Kessler an ihn gewandt hatte. Auch Buber war in den Jahren davor mit Rathenau in persönlichem Kontakt gewesen. Aus der Lektüre von Rathenaus frühen Schriften schloss Kessler, dass dieser von von chassidischen Ideen beeinflusst gewesen sein musste. Buber bestätigte dies in einem Brief an Kessler und gestattete diesem, den gesamten Brief in der Biografie abzudrucken.
Brief Kesslers an Martin Buber, 1928
Die Verbindungen zwischen Harry Graf Kessler und Buber einerseits und mit Rathenau andererseits waren nicht die einzigen zu herausragenden jüdischen Persönlichkeiten der Zeit. Auch Albert Einstein gehörte zum engeren Bekanntenkreis Kesslers, zusammen mit ca. 12.000 anderen Personen der Epoche, was die Tagebücher zu einer einzigartigen Quelle für die Geschichte Mitteleuropas zwischen 1880 und 1937 erhebt. Kessler jedoch verließ Deutschland mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten und verbrachte seine letzten Jahre in Frankreich und Spanien.